Warum Hunde aggressives Verhalten an den Tag legen

Aggressives Verhalten bei Hunden

Aggressives Verhalten bei Hunden: ein vielschichtiges und auch heikles Thema. Es lohnt sich, sich etwas genauer damit zu befassen. Weshalb reagieren Hunde weniger zögerlich als wir? Und sind sie deshalb asozial? Eine kleine Auslegeordnung.

Text: Sibylle Kläusler   Titelbild: pixabay

 

Wenn Hunde sprechen, sollten es Menschen verstehen

Die Genetik, d. h. die Herkunft des Hundes, ist ein Faktor, der auch für Nervenkostüm und Grundveranlagung verantwortlich ist. Entscheidend ist ebenso, welchen Umgang mit Artgenossen der Hund erlernt hat. Auch bei jungen Hunden gibt es Zartbesaitete, Stoiker, Haudegen und Nervensägen. Es gibt sogar solche, die scheinen das Unheil geradezu anzuziehen und bekommen immer wieder eins aufs Dach. Das kann dazu führen, dass sich der Hund eine Strategie zurechtlegt, mit der er hofft, weitere negative Erfahrungen abzuwenden. Greift der Mensch nicht vorher schützend und regulierend ein, kann es sein, dass der Hund selber beginnt, sich alles vom Leib zu halten, was nach potenziellem Ungemach aussieht. Ganz nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Und leider wird oft erst dann gehandelt. Wichtig ist, den Hund nicht aus Sorge in Watte zu packen. Aber gerade bei Junghunden ist es fatal, wenn sie unzählige Male negative Erfahrungen machen, Angst verspüren, sogar beim Menschen Schutz und Hilfe suchen und dieser dann denkt: «Die machen das schon unter sich aus.» Und so seine Verantwortung verweigert. Gerade in Welpengruppen ist es wesentlich, auf solche Situationen der Überforderung Acht zu geben.

 

Dem Hund Grenzen setzen

Hunde müssen lernen, sich auch zurückzunehmen und die abweisenden Zeichen des anderen zu respektieren. Gerade energiegeladene Hunde im Flegelalter kennen oft keine Grenzen. Sie animieren jeden zum Spielen und können sehr penetrant sein und den anderen Hunden ziemlich auf den Keks gehen. Viele ältere Hunde weisen den Jungspund zurecht, auf Hündisch und manchmal etwas laut und vehement. Das ist keineswegs asozial, im Gegenteil: Ausgeglichene erwachsene Hunde, die auch mal «Schluss» sagen, sind für die Entwicklung des jungen Hundes sehr wichtig. Aber manche  erwachsene Hunde lassen sich sehr viel, zu viel, gefallen. Auch da ist es wichtig, dass der Mensch Grenzen setzt und gleichzeitig jedoch darauf achtet, dass dem Energielevel des Junghundes auch wirklich Rechnung getragen wird und er sich austoben kann.

Leinenagressionen bei Hunden sind weit verbreitet

Hunde sprechen mit ihrem ganzen Körper.
Foto: alexei_tm/stock.adobe.com

Zurück zur Frage, weshalb Menschen bei Konflikten eher selten laut und grob werden. Es sind unsere Hemmungen, unsere sozialen Filter und vor allem unser Bewusstsein um die damit verbundenen Konsequenzen. Wer einem anderen verbal oder physisch zu nahe tritt, der riskiert Unannehmlichkeiten. Dieses Zusammenhangs sind wir uns bewusst. Und worum geht es bei menschlichem Zoff und Konflikten? Um Interessen, Ressourcen, Emotionen, Sympathien und Antipathien. Im Grunde haben Hunde dieselben Gründe für Ärger mit Artgenossen, haben jedoch nicht das Bewusstsein für die Konsequenzen, die ihr Verhalten mit sich bringen kann. Sie können ihre Emotionen nicht mit dem Verstand zensurieren.  

Sympathien und Antipathien

Es gibt Vierbeiner, die sind ziemlich besitzergreifend. Und es geht nicht mal nur um Ressourcen wie Spielzeug oder Futter. Auch ein Grasbüschel oder ein Mäuseloch kann von einem Hund vorübergehend zum Eigentum deklariert werden. Buddelt ein Vierbeiner oder schnüffelt er konzentriert an einem Grashälmchen, kann es sein, dass ihm keiner zu nahe treten darf. Die Meinungen gehen da auseinander, ob man solche Aktionen zulassen oder unterbinden soll. Meines Erachtens gilt der Grundsatz: Die Menge macht das Gift. Solange hündisch kommuniziert wird – und das kann auch mal kurz etwas lauter sein –, aber keiner verletzt wird, ist es völlig okay. Weitet sich der Besitzanspruch immer weiter aus, muss der Mensch natürlich auch da wieder regulieren.

Im Alltag treffen Hunde auf allerlei

Artgenossen, und manchmal hat man keine Ahnung, weshalb der eigene Vierbeiner eine Affinität zu einer bestimmten Hunderasse oder einem bestimmten Hund hat, hingegen anderen neutral oder eher mit Abneigung begegnet. Das ist etwas, was wir wohl nie ganz erklären können. In einem Dorf hat es oft einen oder zwei Hunde, die sich nicht ausstehen können. Verhält es sich unter uns Menschen nicht gleich? Hunde würden nun aber eben ihrer Abneigung gegeneinander freien Lauf lassen, das heisst, es würde zur pfotenfesten Auseinandersetzung kommen. Und da sind die Menschen gefragt: einander aus dem Weg gehen, wenn möglich mit einem Schmunzeln über die beiden Streithähne und evtl. mit dem eigenen Hund ein Alternativverhalten erarbeiten. Anstatt nach dem anderen zu spähen oder bei Sichtung bereits auszuticken, kann der Hund lernen, Blickkontakt mit dem Menschen aufzunehmen, die Nase zu beschäftigen oder einen Gegenstand zu tragen.

Auch Hunde haben Sympathien und Antipathien, und diese gilt es sicher bis zu einem gewissen Mass auch zu respektieren. Das heisst nicht, dass unsere Vierbeiner nicht lernen sollen, sich auf eine passende Distanz angemessen zu ver-halten. Aber spielen müssen sie sicher nicht mit allen und jedem. Wir würden uns ja auch nicht für einen Spielenachmittag mit Leuten treffen, mit denen wir so gar nichts am Hut haben.

Leinenaggression ist weit verbreitet

Leinenaggression ist wahrscheinlich das am meisten verbreitete Alltagsproblem mit dem Hund. Oft sind die Ursachen Frustration und negative Erfahrungen mit diesem einschränkenden Ding. Da können wir an einer neuen, positiven Verknüpfung arbeiten. Der Hund soll bei uns bleiben wollen und nicht müssen. Die Leine ist eine Absicherung, aber sie darf nicht der einzige Grund für den Hund sein, bei seinem Menschen zu bleiben. Zieht ein Hund konstant und mit Stress an der Leine, dürfen wir nicht von ihm erwarten, dass er bei Begegnungen plötzlich entspannt ist.

Nicht jeder Hund, der situativ aggressives Verhalten zeigt, ist asozial. Es sind oft ganz natürliche, meist aber auch erlernte hundliche Verhaltensweisen, nicht selten aufgrund von menschlichem Zutun. Und bei allen sozial agierenden Lebewesen gehören Konflikte und Meinungsverschiedenheiten dazu. Es ist wichtig, das Verhalten des eigenen Hundes einschätzen zu können und gegebenenfalls daran zu arbeiten, vielleicht auch mit Hilfe einer Fachperson. Denn auch bei Hunden gibt es übersteigertes aggressives Verhalten, das durch unsachgemässes Training oder Ignorieren gefährlich werden kann.

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