Verhaltensstörungen bei Hund und Katze
Jede Abweichung vom natürlichen artnormalen Verhalten kann eine Verhaltensstörung darstellen. Dennoch ist nicht jede Abweichung des natürlichen Verhaltens wirklich als gestört oder krankhaft anzusehen. Häufig wird auch ein natürliches Verhalten bei Hund und Katze als störend empfunden.
Text: Dr. med. vet. Danya Wiederkehr Titelbild: BillionPhotos.com/stock.adobe.com
Die meisten unserer Haustiere werden nicht unter natürlichen Bedingungen gehalten. Beispielsweise sind Hunde im Rudel lebende Raubtiere und Katzen sind Raubtiere, welche in der Regel als Einzelgänger leben. Pferde sind Fluchttiere, die in Herden leben und Kühe sind Herdentiere, die normalerweise von Weide zu Weide wandern würden. Gewisse Nagetiere leben in Verbänden, andere wiederum in Zweierbeziehungen.
Tiere, die in «Gefangenschaft» leben, also nicht in ihrem natürlichen Habitat, zeigen daher meistens eine Abweichung vom natürlichen Verhalten, ohne dass wir dies als Verhaltensstörung deklarieren würden. Auf der anderen Seite gibt es viele Verhaltensweisen, die eigentlich der Norm der betreffenden Tierart entsprechen, bei den Besitzern jedoch unerwünscht sind. Deshalb muss zwischen unerwünschtem Verhalten und Verhaltensstörung zwingend unterschieden werden.
Was als unerwünschtes Verhalten angesehen wird, ist sehr individuell vom jeweiligen Besitzer abhängig und was er von seinem Tier erwartet. Unerwünschte Verhaltensweisen gehören aber oft zum normalen Verhaltensrepertoire einer Tierart.
Verhaltensmuster werden unbewusst gefördert
Häufig werden unerwünschte Verhaltensmuster beim Jungtier unbewusst sogar noch gefördert. Beispiel: Springt der kleine Welpe zur Begrüssung so herzig am Eintretenden hoch, wird er dafür immer mit Worten, Streicheleinheiten und Kuscheln belohnt. Beim 30 kg schweren erwachsenen Tier ist das gleiche Verhalten nur noch nervig oder sogar gefährlich. Mit einer erziehungstechnischen Therapie lässt sich falsch antrainiertes Verhalten meistens korrigieren. Dabei sind aber Geduld und Konsequenz gefragt.
Verhaltensweisen bei Hunden
Natürliche Verhaltensweisen, die beim Hund meistens unerwünscht sind: Jagdverhalten (Wild, Jogger, Radfahrer, Autos, Blätter usw.), zerren an der Leine, pöbeln an der Leine, anspringen von Menschen, zerstören von Gegenständen, Unfähigkeit, allein zu bleiben.
Verhaltensweisen bei Katzen
Natürliche Verhaltensweisen, die bei Katzen unerwünscht sind: kratzen, markieren, jagen und vor allem das Nachhausebringen von Mäusen und Vögeln. Vor allem die unerwünschten Eigenschaften von Katzen lassen sich nur schwer korrigieren, da es sich um völlig natürliches Verhalten handelt. Häufig ist aber übermässiges Markieren und Kratzen auch bedingt durch Langeweile und Unterbeschäftigung. Am besten stellt man der Katze einen Kratzbaum und Spielzeug zur Verfügung, damit sie genügend beschäftigt ist.
Katzen sind von Natur aus sehr reinliche Tiere. Putzt sich ein Büsi aber so oft und ausgiebig, dass dabei kahle Stellen entstehen, liegt wahrscheinlich eine Verhaltensstörung vor.
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Wie stellt man eine Verhaltensstörungen fest?
Generell gilt Folgendes: Um eine Verhaltensstörung bei einem Tier feststellen zu können, muss man das natürliche artnormale Verhalten der betreffenden Tierart kennen. Da auch Fachleute nach wie vor nicht alle Aspekte des Verhaltens von Tieren kennen, ist es oft schwierig festzustellen, wo die Grenze zur Störung überschritten wird.
Auch effektive Verhaltensstörungen entstehen meist durch Langeweile und Unterbeschäftigung auf Grund der Haltung in Gefangenschaft. Zootiere zeigen daher häufig sogenannte Stereotypien. Bei Haustieren kommen sie seltener vor. Stereotypien sind eine Extremform der Verhaltensstörung, es handelt sich um ständige, gleichförmige wiederholte Handlungen oder Lautäusserungen ohne Sinn und Funktion.
Wie entstehen Verhaltensstörungen bei Hunden und Katzen?
Verhaltensstörungen – ohne Zutun des Tierhalters – entstehen bei Unfähigkeit eines Individuums, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Sie können aber auch genetisch bedingt sein, durch Krankheit oder Schmerzen ausgelöst werden oder als Folge eines Traumas auftreten.
Meistens sind Störungen aber «hausgemacht», das heisst, der Besitzer des Tieres steht mit dem Fehlverhalten in Zusammenhang: unzureichende Fürsorge und Haltungsbedingungen, falsche Erwartungen und Anforderungen dem Tier gegenüber, unzureichender Beziehungsaufbau zwischen Mensch und Tier sowie mangelhafte Kenntnisse über natürliches artnormales Verhalten.
Weitere Ursachen, welche die Tierhaltung betreffen, sind zu frühe Trennung von der Mutter, zu wenig Beschäftigung und Auslauf, keine adäquate Sozialisierung mit Artgenossen und dem Menschen, Missverständnisse in der Mensch-Tier-Kommunikation, das Fehlen von strikten Regeln sowie Stress (Umzug, neue Haustiere, Tierarztbesuch ... usw.).
Verhaltensanomalien bei Tieren können unproblematisch sein und ein Zusammenleben mit Mensch und Artgenossen nicht gross beeinflussen. Teilweise sind Änderungen im Verhalten auch nur vorübergehend und normalisieren sich von alleine wieder, wenn sie ignoriert werden. Katzen beispielsweise verhalten sich nach einem Umzug manchmal sehr merkwürdig, bis sie sich an die neue Umgebung gewöhnt haben. Hunde reagieren oft heftig, wenn sie Feuerwerk sehen und hören. In solchen Situationen ist es wichtig, dass der Besitzer nicht zu sehr auf das Tier eingeht, es sogar ignoriert, ansonsten wird das Fehlverhalten nur gefördert.
Wann braucht es eine Therapie?
Eine Abweichung vom natürlichen Verhalten, bei welchem das Tier, der Mensch oder beide darunter leiden, ist eine Verhaltensstörung, die unbedingt therapiert werden sollte.
Beispiele von Verhaltensstörungen bei Hund und Katze, die zwingend eine Therapie verlangen, ähneln sich bei beiden Tierarten: übermässige Aggression gegenüber Menschen und Artgenossen, Angst, Selbstverstümmelung, exzessive Fellpflege (Psychogene Leck-Dermatitis), Vernachlässigung der Fellpflege, Fressunlust, Spielunlust, Apathie (Lustlosigkeit) und Rückzug sowie Stereotypien.
Bei Fressunlust und/oder Apathie muss zunächst eine organische Grunderkrankung ausgeschlossen werden. Liegt nachweislich eine Verhaltensstörung vor, sollte diese im Interesse des Tieres näher untersucht werden.
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Therapie von Verhaltensstörungen
Eine Verhaltensstörung braucht eine gezielte Diagnose. Zunächst muss bestimmt werden, ob wirklich eine Störung vorliegt oder ob es sich nur um ein unerwünschtes Verhalten handelt. Aber auch unerwünschte Verhaltensweisen können unter Umständen organische Ursachen haben. Jeder Fall ist individuell und sollte am besten mit einer Fachperson angeschaut werden. Wichtig ist, dass das Tier beobachtet und gleichzeitig auf medizinische Grunderkrankungen untersucht wird. Auch Schmerzen, Krankheiten mit Hormonimbalancen (Schilddrüsenüber- oder -unterfunktion, Nebennierenerkrankungen), neurologische Erkrankungen oder Vergiftungen können nämlich zu Verhaltensveränderungen führen. Sind diese krankheitsbedingten Ursachen ausgeschlossen worden, muss erörtert werden, wo der Ursprung für die Anomalie liegen könnte.
Als Erstes sollte der Tierhalter die Störung so genau wie möglich beschreiben. Wichtige Fragen sind unter anderem: Bestand von Anfang an eine Störung? Falls nein: Wann trat die Störung zum ersten Mal auf? Gibt es bestimmte Situationen, die dazu führen? Verhält sich das Tier innerhalb eines bestimmten Zeitraumes ungewöhnlich (morgens, abends, nachts usw.)?
Die Behandlung der Verhaltensstörung ist individuell und richtet sich nach dem jeweiligen Einzelfall. Ist die Ursache gefunden, muss sie entweder durch Therapie der Krankheit oder durch Verhaltenstherapie beim Experten beseitigt werden.
Vorbeugen von Verhaltensstörungen
Verhaltensstörungen und auch unerwünschtem Verhalten kann vorgebeugt werden. Besonders wichtig ist es, sich vor der Anschaffung eines Tieres über dessen Haltung, Anforderungen und Normalverhalten umfassend zu informieren. Wird ein Haustier richtig gehalten, gut sozialisiert und genügend beschäftigt, ist es ausgeglichen und zeigt so gut wie nie Verhalten wie Aggression, Angst, Apathie oder Stereotypie.