Hunde verfügen nebst kognitiven Fähigkeiten über fast die gleichen Emotionen wie Menschen

Hunde als Spiegel des Menschen

Was die meisten Hundehalter schon lange intuitiv «wissen» und spüren, ist jetzt auch wissenschaftlich bewiesen: Hunde verfügen nebst kognitiven Fähigkeiten über fast die gleichen Emotionen wie Menschen und eine unglaubliche Gabe, sich auf diesen mit einer tiefen Bindung einzulassen.

Text: Sibylle Kläusler    Titelbild: inkevalentin/stock.adobe.com

Diese Erkenntnisse sind deshalb so bedeutend und wichtig für unsere Vierbeiner, weil sie mithelfen, die leider immer noch vorhandenen alten Glaubenszöpfe endlich abzuschneiden. Zum Beispiel der Irrglaube, dass Hunde nur egoistisch aufgrund ihrer Triebe handeln. Ebenso die Ansicht, dass der Hund in Unterordnung gegenüber dem Menschen leben muss.

Der Hund ist ein sozial lebendes und agierendes Tier

Die Fähigkeit, den anderen lesen, verstehen und sich auf ihn einlassen zu können, gehört zur «Grundausstattung». Das Verhalten des Gegenübers zu spiegeln und adäquat darauf zu reagieren ebenso. Nicht zuletzt, um Konflikte zu vermeiden oder schnellstmöglich zu klären und den sozialen Zusammenhalt zu stärken.

Welpen werden mit einem Rucksack aus Genetik und frühen Erfahrungen und Prägungen in ihr neues Zuhause geschickt. Wird ein erwachsener Hund neu platziert, sind in dem Rucksack noch viele weitere Erfahrungen drin. Mit diesem Päckchen versucht der Vierbeiner, bestmöglich mit seinen Menschen durch den Alltag zu gehen.

Das menschliche Verhalten ist für den Hund manchmal ein Rätsel und eine Herausforderung. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass das Verhalten bereits vor der eigentlichen Aktion beginnt.

Gedanken und unsere Einstellung beeinflussen unsere Körperspannung, unsere Körperhaltung und die ganze Ausstrahlung. Mit seinem feinen Gespür nimmt der Hund die kleinsten Veränderungen wahr, geht mit uns in Resonanz. Und da er zusätzlich mit seinem eigenen Innenleben, mit seinem eigenen Rucksack, unterwegs ist, muss er dann beides irgendwie aufeinander abstimmen. So ist dann seine Reaktion eine Mischung aus seinem eigenen Repertoire und dem Spiegeln seines Menschen.

Ein Hund mit einem soliden Nervenkostüm steckt die Anspannung seines Menschen besser weg als einer, der selbst schon nicht in sich ruht. Diese Kombination zeigt vor allem in potenziellen Konfliktsituationen ihre Auswirkungen. So kann die innere Spannung des Hundes zusammen mit der Gereiztheit des Menschen bei einer Hundebegegnung das Fass zum Überlaufen bringen.

Wir fühlen uns grundsätzlich von dem angesprochen, was unseren Vorstellungen, Werten und unserem Weltbild entspricht. Was hat das nun mit unseren Hunden zu tun? Wir suchen nach einem passenden Gegenstück, teils bewusst, meist unbewusst. Ein eindrückliches Beispiel aus dem Alltag hatte ich mit einem Telefonat: Ruft mich eine Frau an und fragt mit gereiztem Ton: «Nach welcher Lerntheorie arbeiten Sie?» Nachdem ich ihr mitteilte, dass ich nicht nach einer fixen Theorie arbeite und immer auch den Menschen miteinbeziehe, fragte ich sie nach der Thematik ihres Hundes. «Ich habe einen Hund aus dem Tierschutz übernommen und er zeigt sich in manchen Situationen aggressiv.» «Aha», dachte ich mir, «willkommen an der Arbeit an sich selber mit Hilfe des Hundes».

Hund und Mensch ergänzen sich

Einstieg für mein Interesse für die Tiefen der Mensch-Hund-Verbindung waren meine eigenen Erfahrungen. Als ich meinen belgischen Schäferhund vor Jahren im Alter von 13 Monaten übernahm, schlummerten Frustration und Enttäuschung in mir. Ich war eigentlich froh, wenn mich alle in Ruhe liessen. Der Mission des Abschottens hat mein Hund mit Bravour entsprochen, weil er in sich die gleichen Bedürfnisse trug. So haben wir uns unbewusst prima ergänzt, auch wenn das zu Konflikten mit der Umwelt führte. Ich hatte jedoch die grosse Chance, durch die Arbeit mit meinem Hund eine Unmenge über mich selbst zu erfahren und meine «Baustellen» zu beheben. Wir konnten uns in diesem Sinne gegenseitig «heilen». Es ist kein Zufall, wenn wir genau diesen einen Hund in unser Leben holen (wer weiss, vielleicht ist es auch umgekehrt?). Es geht auch nicht darum, die Dinge zu verpsychologisieren, sondern darum, dass der Mensch sich nicht einfach mit dem Satz «mein Hund hat ein Problem» aus der Affäre ziehen kann.

Hund und Mensch beeinflussen sich gegenseitig. Das Verhalten des Hundes in Alltagssituationen lenkt manchmal sehr subtil die Reaktionen des Halters. Gibt es bei Hundebegegnungen Probleme, beginnt man, solche unangenehmen Situationen zu umgehen. Der Hund merkt, dass sich mit dieser Strategie Konflikte vermeiden lassen. Das heisst, es funktioniert. Der Spaziergang wird zwar ruhiger, aber man wiegt sich in einer falschen Sicherheit.

Umgekehrt können Ängste und Ärger des Menschen dem Hund irreführende Zeichen geben. Die Leine wird zum Beispiel bei der Begegnung mit dem Nachbarn kurz genommen und der Hund wird mit einem «nein» zurückgenommen, wenn er freundlich schnuppern will. Das, weil ein Groll unter den Zweibeinern besteht. Für den Hund heisst das: Achtung, da ist was nicht o.k. Und je nachdem, wie der Hund selber gestrickt ist, wird das auf Dauer entsprechende Reaktionen/Abneigungen hervorrufen.

Die Frage ist oft nicht, was wir tun, sondern mit welcher Emotion wir es tun. Ich kann den Hund freundlich und ruhig bei mir behalten, wenn der Nachbar aus dem Haus kommt. Bleibe ich in dieser positiven Energie, wird der Hund keinen Anlass für eine Warnreaktion sehen. Dazu muss ich aber bereit sein, die Dinge nicht zu vermischen und den Groll gegenüber meinem Nachbarn als solches zu erkennen. Das Problem des Menschen sollte nicht zum Problem des Hundes werden.

Wir können von unseren Vierbeinern nicht erwarten, dass sie freundlich auf andere zugehen, wenn wir selber voller Abneigung und Skepsis sind. Wir können nicht erwarten, dass andere unsere Hunde respektieren, wenn wir selbst respektlos unterwegs sind. Wir sind in unserem Alltag mit mehr verbunden, als uns wahrscheinlich lieb und bewusst ist. Aus der Verbundenheit mit unserem besten vierbeinigen Freund können wir als Mensch unglaublich viel über uns selbst erfahren, sofern wir dazu bereit sind.