Der Umgang mit alten Hunden
Friedlich liegt Shiva in ihrem Körbchen. Ihr Kopf ist zwischen die Vorderpfötchen gebettet, sie scheint tief in ihren Träumen versunken. In der Nacht ist sie eingeschlafen und über die Regenbogenbrücke gegangen. An das Alter denkt man auch beim Hund nicht gern. Es ruft einem in Erinnerung, dass die gemeinsame Zeit endlich ist. Doch genau da liegt das Wunderbare verborgen.
Text: Sibylle Kläusler Titelbild: lpictures/stock.adobe.com
Durch das Bewusstsein der Endlichkeit bietet sich uns die Chance, jeden Moment mit unserem Vierbeiner intensiv zu erleben und zu geniessen. Alte Hunde haben ein ganz besonderes Charisma. Sie haben während Jahren gelernt, ihren Menschen ganz genau zu lesen. Sie kennen ihn in- und auswendig und wissen, wie sie ihn um die Pfoten wickeln können. Zudem leben sie wieder viel mehr in ihrer eigenen Welt, können eine Ewigkeit an genau dem einen alles bedeutenden Grasbüschel schnuppern, oder einfach dasitzen und in die Welt hinausgucken. Sie scheinen zufrieden zu sein und genau zu wissen, was sie wollen ... und was nicht. Hat ein Hundesenior erst mal entschieden, auf einem Spaziergang einen Weg nicht zu gehen, braucht es gute Argumente, ihn doch noch dazu zu bewegen. Er bleibt einfach stehen, schaut in die Richtung, in die er gehen will, und bewegt sich keinen Zentimeter mehr. Alte Hunde sind reife Persönlichkeiten, die respektiert werden wollen.
Charmante Sturköpfe
Alte Hunde haben auch ihre Mödeli, die uns immer wieder zum Schmunzeln bringen. Da lernt ein Hund plötzlich zählen, weil er wegen seiner verbrauchten Zähne statt eines grossen Kaustängels am Abend drei kleine erhält. Und bevor der dritte nicht kredenzt wurde, sitzt der alte Hundeherr mit erwartungsvollem Ausdruck vor seinen Menschen. Danach geht er schlafen. Der gleiche Hundesenior liebt Autofahrten. Und ab und zu verlangt er eine kleine Spritztour. Dann steht er vor der Haustür, stupst mit seiner grauen Schnauze die Türklinke an und gibt zu verstehen, dass sein Chauffeur sich bereitmachen soll.
Letzthin habe ich mit meiner 13-jährigen Oma etwas Neues machen wollen. Eine kleine Übung, die, wie ich dachte, uns beiden Spass machen sollte. Falsch gedacht. Sie latschte weg und liess mich mit meinem Enthusiasmus stehen. So geht das, wenn man einen alten Hund bei sich hat. Sie zeigen einem ganz genau, was Sache ist. Und das macht sie zu liebenswerten, charmanten Sturköpfen. Maröttchen und Verhaltensweisen, die man früher bestimmt nicht hätte durchgehen lassen, können wir auf einmal mit einem Augenzwinkern annehmen.
Wenn die Gesundheit nachlässt
So wunderbar die Zeit mit den grauen Schnauzen ist, so herausfordernd, ja manchmal auch belastend, kann sie sich zeigen. Altersgebrechen sind auch bei Hundesenioren ein Thema. Hunde können fast alles haben, was auch wir Menschen an Krankheiten und Gebrechen kennen. Doch Gott sei Dank ist auch die Tiermedizin den Humanmethoden in keinster Art und Weise unterlegen. Eine Frage stellt sich jedoch bei einem alten Hund zusätzlich: Ist ein Eingriff keine zu grosse Belastung für den Kreislauf und die Stabilität des Hundes? Welche Behandlungen sind für den Körper zumutbar und welche belasten ihn nur zusätzlich? Auf diese Punkte gibt es keine objektive Antwort. Viel, sehr viel hängt vom Gefühl, von der Einstellung und von der Intuition des Menschen ab, der für seinen Vierbeiner verantwortlich ist. Die tierärztliche Meinung ist das eine, die persönliche Ebene zwischen Mensch und Hund etwas anderes. Über Jahre haben sich Zwei- und Vierbeiner zu einem Team zusammengeschweisst. Man kennt sich, versteht sich, auf einer tiefen Ebene. Da ist es umso schmerzlicher, wenn man spürt, dass der Wille noch da ist, der Körper diesem jedoch nicht folgen kann.
Alte Hunde, die über längere Zeit krank sind, stellen den Menschen vor eine schwierige Entscheidung. Wann ist der richtige Moment, den Vierbeiner von seinem Gebrechen zu erlösen? Besonders schwierig wird es dann, wenn er an einem Tag fit ist und am anderen wieder leidet. In solchen Situationen ist es sehr wichtig, unsere eigene und die gemeinsame Lebensqualität nicht aus den Augen zu verlieren. Das ständige Hin und Her darf den Blick auf die schönen Momente nicht verstellen. Vor lauter Grübeln geraten wir in einen Sog der Negativ-Energie, der nicht nur uns schadet, sondern auch unserem Hund. Er spürt, wenn wir uns ständig Sorgen machen. Deshalb ist es wichtig, von Tag zu Tag neu zu entscheiden, um danach die Zeit mit dem Hund zu geniessen. Wir müssen unseren Gedanken verbieten, ständig um das Thema Krankheit zu kreisen. Das verhindert Freude und Lebensqualität.
Lassen Sie Ihren Senior bestimmen, wie lange ein Spaziergang dauern soll und wie viel er sich bewegen möchte. Im Sommer sollten die Aktivitäten zudem auf die kühleren Stunden des Tages verlegt werden.
Foto: encierro/stock.adobe.com
Senioren bedürfen besonderer Aufmerksamkeit
Alte Hunde haben gute Tage. Alte Hunde haben schlechte Tage. Und dies gilt es zu respektieren. Die Dauer des Spazierganges und die Art der Bewegung bestimmen nicht mehr wir, sondern der Hund. Ganz besonders achtzugeben ist auf die Wärme. Obwohl alte Hunde die Wärme, die Sonne lieben, ist grosse Vorsicht geboten bei Spaziergängen in der warmen Jahreszeit. Der Kreislauf ist längst nicht mehr so in Schuss wie früher. Pausen und die Verlegung der Aktivität auf die kühlen Morgen- und Abendstunden sind zwingend. Doch in der Sonne liegen, das machen alte Hunde gerne. Sie brauchen die Energie. Ebenso ist es ratsam, die Fütterung der körperlichen Verfassung anzupassen. Eventuell ist es besser, die Rationen auf mehrere kleine Häppchen zu verteilen, damit der Verdauungsprozess den Organismus nicht übermässig belastet. Was ganz wichtig ist: eine Pause nach dem Spaziergang, bevor der Vierbeiner seine Mahlzeit erhält. Alles, was der Hund tut, strengt ihn mehr an.
Aktive Hunde spielen auch im Alter noch gerne. Manchmal muss man da als Mensch sogar etwas regulierend eingreifen, weil die Vierbeiner im Spiel vergessen, dass ihre Wildheit jetzt in einem Altbau zu Hause ist. Mit abrupten Bewegungen ist Vorsicht geboten. Wildes Ballwerfen, Zerrspiele oder hündische Verfolgungsjagden machen zwar immer noch höllischen Spass, können aber den Körper des Hundes stark überfordern. Besser geeignet sind da Suchspiele, die den Hund geistig fit halten und fordern, den Körper jedoch schonen. Auch das Longieren mit Hunden ist eine gute Sache. Die Grösse des Kreises kann da den körperlichen Fähigkeiten des Hundes angepasst werden. Auch gibt es immer mehr Angebote für ältere Hunde, um sie im Kopf und Körper fit zu halten: eine Art Altersturnen für Vierbeiner, oft von Physiotherapeuten angeboten, in denen verschiedene kleine Übungen gemacht werden. Vergessen darf man jedoch nicht, dass alte Hunde ziemlich mürrisch sein können, genauso wie die in die Jahre gekommenen Menschen. In Gruppen muss die Hundepersönlichkeit beachtet und respektiert werden.
Ungetrübte Lebensfreude auch im Alter
Wer denkt, dass ein Hund, der aufgrund seines Alters nicht mehr sieht und nicht mehr hört, keine Lebensqualität mehr hat, der irrt. Eine 16 Jahre alte Border-Collie-Hündin hat den Gegenbeweis angetreten. Als ich sie sah, kamen mir fast die Tränen. Dieser Hund strahlte eine solche Lebensfreude aus, dass manch ein junger Mensch sich etwas davon hätte abschneiden können. Klar, ist ihre Halterin gefordert. Die Wohnung kennt die Vierbeinerin wie ihre Westentasche. Das Schlimmste, das man ihr antun könnte, wäre ein Umzug in eine neue Umgebung, in der sie sich nicht zurechtfindet.
Auch draussen muss besonders achtsam mit ihr umgegangen werden. In ihrem eingezäunten Garten bewegte sie sich jedoch ganz ungezwungen und frei, etwas wie auf Schienen, aber es machte ihr sichtlichen Spass, ihr Territorium zu erkunden. Sie erinnerte mich an die automatischen Rasenmäher, die sich im Garten selbständig bewegen. Sie war zügig unterwegs, die Nase immer am Boden, bis sie an den Zaun kam, dann drehte sie um und schnuffelte in die Gegenrichtung weiter. So inspizierte sie das ganze Gelände.
Wenn der Zeitpunkt da ist, Abschied nehmen
Trotz all unseren Bemühungen, dem Hund einen wunderschönen Lebensabend zu bieten, kommt irgendwann die Zeit, in der wir adieu sagen müssen. Nicht bereuen, dass der vierbeinige Freund geht, sondern dankbar sein für all das, was wir mit ihm erleben und lernen durften. Dann gilt es, die Arme auszustrecken, um ihn freizugeben und ziehen zu lassen, und unser Herz ganz weit zu öffnen, damit all die Erinnerungen an die wunderbare Hundeseele darin Platz finden.
Buchtipp
Weis(s)e Schnauzen
Clarissa von Reinhardt, Britta Putfarcken
animalLearn Verlag
ISBN 978-3-936188-56-1