Das unnötige Leiden der Pelztiere
Trotz jahrzehntelanger Proteste von Tierschutzorganisationen wird immer mehr Pelz getragen – auch in der Schweiz. Dabei werden diese Produkte unter Bedingungen produziert, die hierzulande als tierquälerisch gelten. Was für die einen ein Skandal ist, ist für die anderen reine Privatsache.
Text und Fotos: Klaus Petrus
Hier verbieten, dort produzieren
Es ist Januar, die «Ernte» ist vorbei und der Mann mit der dunklen Sonnenbrille und den schmalen Lippen ist zufrieden. «Der Markt wächst und die Nachfrage wird in den kommenden Jahren stark ansteigen.» Die Rede ist nicht von Kohl oder Pastinaken, sondern von Nerzen. Und der Mann ist nicht etwa Lagerist bei einem Gemüsehändler, sondern Präsident des italienischen Pelzverbandes und Inhaber einer Nerzfarm irgendwo in Oberitalien mit 5000 Tieren.
Tatsächlich hat Giovanni Boccù Recht: Es wird so viel Pelz getragen wie schon lange nicht mehr – auch in der Schweiz. Wurden 1992 noch 150 Tonnen Pelze in unser Land importiert, waren es im Jahr 2017 bereits 440 Tonnen. Für Gieri Bolliger von der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) hat das viele Ursachen. Eine davon ist das Versagen der Tierschutzorganisationen, denen es trotz jahrzehntelanger Proteste nicht gelungen ist, die Konsumenten nachhaltig zu sensibilisieren. Eine andere Ursache sieht Bolliger im unzureichenden Wissen gerade bei Jugendlichen. «Viele denken sich: Würde die Bordüre an meiner Jacke oder der Bommel auf meiner Mütze aus tierquälerischer Pelzhaltung stammen, wäre das in der Schweiz doch verboten. Aber so ist es nicht», sagt Bolliger.
Damit berührt Bolliger einen wunden Punkt auch in der Gesetzgebung. Zwar sind die Auflagen für die Haltung von Pelztieren hierzulande derart hoch, dass sich kommerzielle Farmen gar nicht rentieren. Dennoch ist es erlaubt, Pelze aus dem Ausland zu importieren. Und das, obschon sie häufig unter Bedingungen produziert werden, die dem Schweizer Tierschutzrecht zuwiderlaufen – ein «Widerspruch mit verheerenden Konsequenzen für die Tiere», wie Bolliger findet. Konkret müsste ein
einzelner Nerz gemäss Schweizer Tierschutzrecht in einem Gehege von 7,5 Quadratmetern gehalten werden. Bei Giovanni Boccù, der sich an die EU-Empfehlungen von 1999 hält, stehen einem Nerz 2550 Quadratzentimeter zu, das ist 30-mal weniger als in einem Schweizer Minimalgehege.
Dass solche Haltungen durchaus «tiergerecht» seien – wie das die Pelzbranche immer wieder behauptet –, ist zu bezweifeln. In der Natur leben Nerze in Feuchtgebieten und ihre Territorien dehnen sich über mehrere Kilometer aus. Auf Boccùs Farm dagegen verbringen sie von März an ihre Tage in einem erhöhten, offenen Drahtkäfig mit einem kleinen Nistkasten aus Holz. Ein Futterbrei aus Fleisch und Fisch wird auf das obere Gitter gelegt, die Exkremente fallen durch das untere Gitter auf den Boden. So leben die Tiere acht Monate lang Käfig an Käfig, bis sie im Dezember vergast und gehäutet werden; die Körper landen in Biogasanlagen oder der Zementfabrik.
Deklarationsverbot als Lösung?
Gieri Bolliger von TIR möchte ohnehin, dass der Import von tierquälerischen Pelzprodukten verboten wird. Gegen ein solches Importverbot hatte sich allerdings der Ständerat vor einigen Jahren ausgesprochen. Er fürchtete Probleme mit der Welthandelsorganisation WTO. Daraufhin führte die Schweiz im März 2013 als erstes Land eine Deklarationspflicht ein. Doch gibt es Probleme bei der Umsetzung. Was Tierschutzorganisationen wie der STS schon im Vorfeld bemängelten, hat inzwischen auch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) bestätigt: Zu viele der importierten Pelzprodukte sind unvollständig, irreführend oder gar falsch deklariert. Deshalb wurde das BLV vom Parlament beauftragt, Alternativen zu prüfen. Nebst einer Verschärfung der Deklarationspflicht soll erneut über ein Importverbot diskutiert werden.
Bolliger hat zusammen mit Nils Stohner, einem WTO-Spezialisten, diese Option geprüft und ist sich sicher: «Es ist mit den WTO-Bestimmungen durchaus vereinbar, ein ethisch motiviertes Importverbot durchzusetzen, falls dieses der gesellschaftlichen Wertauffassung entspricht.» Aus genau solchen Gründen habe sich die Schweiz immerhin schon für ein Import- und Handelsverbot von Hunde- und Katzenfellen ausgesprochen.
Der Schweizerische Branchenverein Swissfur steht der Kritik gelassen gegenüber. Dass in die Schweiz Pelze importiert werden, die so gehalten werden wie aus Giovanni Boccùs Farm, darin sieht der Verein offenbar kein Problem. Geschäftsführer Thomas Aus der Au sieht das Ganze kühl und pragmatisch: «Ob wir Pelz nutzen wollen, muss jeder für sich beantworten.» Allerdings dürfte diese Haltung auch in Zukunft Anlass zu Diskussionen geben. Gieri Bolliger ist jedenfalls überzeugt: «Unsere Wahlfreiheit muss dort ihre Grenzen haben, wo Schwächere geschädigt werden. Und das sind in diesem Fall die Pelztiere, die für unseren Luxus sterben müssen.»