Hilfepflicht für Tiere in Gefahr
Während die unterlassene Hilfeleistung gegenüber Menschen in Lebensgefahr strafbar ist, sieht das Gesetz keine entsprechende allgemeine Handlungspflicht in Tiernotfällen vor. Es gibt jedoch Konstellationen, in denen auch Tieren in Notlagen zwingend geholfen werden muss. Insbesondere Tierhalter sollten stets für solche Situationen gewappnet sein. In einigen Fällen stellt sich die Frage, welche Massnahmen zur Rettung des gefährdeten Tieres rechtlich überhaupt erlaubt sind.
Text: Dr. iur. Gieri Bolliger und lic. iur. Andreas Rüttimann Titelbild:V&P Photo Studio/stock.adobe.com
Das Strafgesetzbuch (StGB) verpflichtet jedermann, einem in unmittelbarer Lebensgefahr schwebenden Menschen zu helfen, wenn dies aufgrund der konkreten Umstände zumutbar ist. Wer dies nicht tut oder andere bei der Leistung von Nothilfe behindert oder sogar davon abhält, macht sich strafbar und wird mit einer Freiheits- oder Geldstrafe belegt.
Pflicht zur Hilfeleistung nur bei besonderer Verantwortung für das Tier
Für Tiere in akuter Lebensgefahr sieht das Gesetz hingegen keine allgemeine Hilfepflicht vor. Aus rechtlicher Sicht müssen Zeugen einer Notsituation oder andere Unbeteiligte somit weder ein verletzt aufgefundenes fremdes Tier zum Tierarzt bringen noch die Polizei oder den Halter des Tieres benachrichtigen. Aus tierschützerischen und ethischen Gründen ist eine Hilfeleistung in solchen Situationen aber natürlich trotzdem geboten. Hat man selber keine Zeit oder ist unsicher, wie geholfen werden kann, sollte unverzüglich die Polizei (Telefon-nummer 117) oder, falls es in der Region einen solchen gibt, ein Tierrettungsdienst verständigt werden.
Zumindest für gewisse Fälle sieht die Rechtsordnung aber eine allgemeine Hilfepflicht auch gegenüber Tieren in Notlagen vor. Voraussetzung hierfür ist eine besondere gesetzliche Verantwortung für das betroffene Tier – juristisch spricht man dabei von der sogenannten Garantenstellung –, die vor allem seinen Halter oder Betreuer trifft. Unterlässt dieser die Handlungen, die für das Wohlbefinden eines Tieres in seiner Obhut notwendig wären, macht er sich strafbar. Eine solche Verantwortung kann zudem auch vertraglich begründet werden. Zu denken ist beispielsweise an eine Tierpension oder einen Tiersitter, denen ein Tier zur Betreuung anvertraut wurde, oder einen mit einer Behandlung beauftragten Tierarzt.
Eine gesetzliche Verantwortung kann sich letztlich auch daraus ergeben, dass man eine besondere Gefahr für ein Tier geschaffen hat. Dies wäre etwa der Fall, wenn ein Automobilist ein Tier anfährt und verletzt und anschliessend weder den Tierhalter noch die Polizei verständigt, wozu er gemäss Strassenverkehrsrecht verpflichtet wäre. Die Folge der Nichtmeldung ist, dass niemand die notwendigen Massnahmen ergreifen kann, um dem Tier zu helfen, dass das Tier dieses möglicherweise unnötigen Schmerzen und Leiden ausgesetzt wird. Fährt der Automobilist einfach davon, ohne den Unfall zu melden oder das Tier zum Tierarzt zu bringen, muss er daher mit einem Verfahren sowohl wegen Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz als auch wegen Tierquälerei rechnen.
Eine leider häufig auftretende Situation: ein zurückgelassener Hund in einem an der Sonne geparkten Auto
Foto: DoraZett/stock.adobe.com
Beschädigung fremden Eigentums
Unter Umständen darf sogar fremdes Eigentum beschädigt werden, um einem Tier in Not zu helfen. Zu denken ist dabei etwa an die leider häufig auftretende Situation, dass ein Passant an einem heissen Sommertag einen Hund in einem an der Sonne geparkten Auto bemerkt. Hier fragt sich, ob der Passant berechtigt ist, beispielsweise die Fensterscheibe des Fahrzeugs einzuschlagen, um den Hund zu retten.
Prinzipiell ist das Eingreifen in fremde Rechtsgüter nur erlaubt, wenn die Notsituation nicht auf andere Weise abgewendet werden kann. Im Fall des Hundes im überhitzten Fahrzeug etwa sollte sofern möglich zuerst der Tierhalter ausfindig gemacht werden, beispielsweise über eine Lautsprecherdurchsage im Einkaufszentrum, vor dem das Auto geparkt ist. Falls dies innert nützlicher Frist nicht möglich ist oder keinen Erfolg bringt, ist die Polizei oder die Feuerwehr zu alarmieren, die den Hund mit geeigneten Werkzeugen befreien kann.
Befindet sich das Tier hingegen bereits in einem derart schlechten Gesundheitszustand, dass akute Lebensgefahr besteht, kann nicht mehr abgewartet werden, bis der Tierhalter oder die Polizei eintrifft. In diesem Fall ist man befugt, das Auto – aber natürlich nur soweit nötig – zu beschädigen, um den Hund zu befreien. Der Tierretter kann sich in einer solchen Situation darauf berufen, im Sinne des Tierhalters gehandelt zu haben. Man darf nämlich davon ausgehen, dass dieser für das Leben seines Hundes eine zerbrochene Fahrzeugscheibe oder eine auf-gebrochene Tür gerne in Kauf nimmt. Der Tierhalter wird den Schaden an seinem Auto im Falle einer Notfallsituation daher selber tragen müssen. Hätte der Beizug der Polizei aufgrund des Zustands des Tieres hingegen ohne Weiteres abgewartet werden können, sind die Kosten für die Autoreparatur vom vermeintlichen Retter zu übernehmen. Zudem müsste dieser in einem solchen Fall sogar mit einem Strafverfahren wegen Sachbeschädigung rechnen.
Dass eine Notlage nicht anders beseitigt werden konnte, ist im Streitfall übrigens vom Retter nachzuweisen. Hierzu sollten wenn möglich Zeugen des Vorfalls genannt werden können. Zusätzlich empfiehlt es sich, ein Protokoll der Geschehnisse zu erstellen, in dem Zeit, Ort etc. festgehalten werden.
Auch im Notfall sind die Strassenverkehrsregeln zu beachten
Muss ein Tier aufgrund einer Notsituation dringend zum Tierarzt gebracht werden, drängt sich die Frage auf, ob es ausnahmsweise zulässig ist, gewisse Verkehrsregeln zu verletzen. Grundsätzlich ist es nicht ausgeschlossen, dass beispielsweise bei einer Geschwindigkeitsübertretung wegen eines Notfalls eine allfällige Strafe erlassen wird. Hierfür muss jedoch ein sogenannter Notstand vorliegen. Davon spricht man, wenn in Rechtsgüter unbeteiligter Dritter eingegriffen wird, um ein höheres Rechtsgut zu retten, und hierzu kein milderes Mittel zur Verfügung steht. Ob eine solche Situation gegeben ist, muss im konkreten Einzelfall durch Abwägung der jeweiligen Interessen beurteilt werden, wobei den Gerichten ein gewisser Ermessensspielraum zusteht.
In Falle eines Verkehrsdelikts wegen eines Tiernotfalls
steht das Interesse am Überleben des Tieres dem Sicherheitsinteresse der Verkehrsteilnehmer, die durch das nicht korrekte Fahren potenziell gefährdet werden, gegenüber. Ob der Tierretter sich auf einen Notstand berufen kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wichtig ist dabei etwa die Schwere der Verkehrsregelverletzung oder die Dringlichkeit der tierärztlichen Versorgung. Schliesslich wird der Richter unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände entscheiden, ob das regelwidrige Verhalten verhältnismässig war. Ein Menschenleben wird bei dieser Abwägung stets als höchstes Gut betrachtet. Wird ein solches gefährdet, um einem verletzten Tier zu helfen, ist die Verkehrsregelverletzung juristisch kaum zu rechtfertigen, weshalb eine allfällige Busse in aller Regel bezahlt werden muss. Im Einzelfall kann ein Gericht unter Würdigung aller Umstände aber auch zu einem anderen Ergebnis kommen und von einer Bestrafung des Verkehrssünders absehen.
Tierhalter sollten auf Notfälle vorbereitet sein
Insbesondere als Tierhalter ist es wichtig, darüber Bescheid zu wissen, wie in einem Tiernotfall vorzugehen ist. So sollte eine Ratgeberbroschüre über Erste Hilfe für Tiere stets griffbereit aufbewahrt und natürlich im Voraus schon einmal aufmerksam durchgelesen werden. Empfehlenswert ist auch der Besuch eines Erste-Hilfe-Kurses für Tiere, wie er von verschiedenen Organisationen angeboten wird.
Zusammen mit den Erste-Hilfe-Ratschlägen sollte natürlich auch die Telefonnummer des Tierarztes jederzeit verfügbar sein. Rund um die Uhr sind zudem Tierkliniken erreichbar (die Kontaktdaten sind abrufbar unter www.vet-look.ch), die entweder einen eigenen Dienst oder zumindest eine Notfallnummer unterhalten, über die der diensthabende Tierarzt erreicht werden kann. Eigene Notfallkliniken mit 24-Stunden-Betrieb haben auch die Tierspitäler in Bern und Zürich.
Sinnvoll ist es zudem, eine kleine Notfallapotheke zu Hause zu haben, um geringfügige Verletzungen selbst behandeln und im Notfall eine angemessene Erstversorgung des Tieres sicherstellen zu können. Enthalten sollte die tierspezifische Hausapotheke etwa Polsterwatte, Selbstklebeverband, sterile Wundabdeckgazen, eine Schere, eine Pinzette zum Entfernen von Dornen, Glassplittern etc., eine Zeckenpinzette, eine Desinfektionslösung, eine Wundsalbe, einen Fiebermesser, Gummihandschuhe und Durchfalltabletten. Die meisten Bestandteile sind beim Tierarzt oder in der Apotheke erhältlich. Der Tierarzt beziehungsweise Apotheker ist dem Tierhalter auch bei der individuellen Zusammenstellung der Notfallapotheke behilflich und erklärt den Gebrauch der einzelnen Medikamente und Verbandsutensilien. Ist ein Tier ernsthaft krank oder verschwinden die Krankheitssymptome nicht innert kurzer Zeit, muss jedoch unbedingt ein Tierarzt aufgesucht, die Ursache geklärt und eine individuelle Behandlung eingeleitet werden.
Stiftung für das Tier im Recht (TIR)
Spendenkonto PC 87-700700-7
IBAN CH17 0900 0000 8770 0700 7
www.tierimrecht.org