Von wegen dummer Esel!
In Europa gelten Esel bis heute als Tiere zweiter Klasse, sie sind «das Pferd des armen Mannes», dabei begleiten Esel den Menschen länger als Pferde. Zudem werden Esel gemeinhin als störrisch und dumm bezeichnet. Was für ein Irrtum.
Text: Erna Schmid, Christiana Sommer Fotos: pixabay
Der Esel ist ein Wüstentier, seine grossen Ohren deuten darauf hin: Sie dienen der Wärmeabgabe. Der Esel hat bis heute erstaunlich viel seines Verhaltens als Wildtier behalten. Esel haben keinen Fluchtinstinkt. In der Wüste ist ein Wegrennen vor dem Angreifer häufig sinnlos. Da manche Raubtiere nur sich bewegende Beute wahrnehmen können, schützen sich Esel meist durch Stehenbleiben vor der Gefahr. Der Esel ist also keineswegs «störrisch und stur», sondern vielmehr ganz schön clever!
Artgerechte Eselhaltung
Die Bedürfnisse unserer Hausesel entsprechen weitgehend denjenigen der Wildesel. Selbstverständlich können wir unseren Eseln keine kilometerweiten Steppenregionen zur freien Nutzung zur Verfügung stellen, aber sie sollten in ihrer Haltungsanlage die Möglichkeit haben, das zu tun, womit sie auch in der freien Wildbahn den Tag verbringen würden. Nämlich sich täglich viele Stunden frei bewegen, mehrmals täglich gutes Raufutter und frisches Wasser zu sich nehmen, Licht und frische Luft geniessen, Kontakt zu andern Eseln pflegen. Esel, welchen dies verwehrt wird, reagieren mit einer Vielzahl von körperlichen und psychischen Schäden, so zum Beispiel mit gestörtem Verhalten im Umgang mit Artgenossen, mit beissen, schlagen, Apathie oder gesteigerter Nervosität.
«Lauftier» Esel
Der Esel ist, wie auch die meisten anderen Weidetiere, ein Lauftier. In Freiheit befindet er sich in stetiger Bewegung, wobei der Schwerpunkt auf langsamem Herumwandern bei der Futteraufnahme liegt. Der wild lebende Esel ist oft mehr als sechzehn Stunden täglich damit beschäftigt, Futter zu suchen. Rasche Aktionen, wie Rangordnungskämpfe oder Flucht, sind bei erwachsenen Eseln selten. Junge Tiere zeigen dagegen einen ausgeprägten Spieltrieb, sie rennen, balgen und toben viel miteinander. Junge Esel brauchen mehr Platz als erwachsene. Damit dem Bewegungsbedarf ausreichend Rechnung getragen wird, ist ein befestigter Auslauf, welcher sommers und winters bei jedem Wetter benutzbar ist, Voraussetzung für eine artgerechte Haltung. Jeder Esel sollte jederzeit die Möglichkeit haben, sich ausserhalb des Stalles frei zu bewegen. So kann er mit anderen Eseln auf natürliche Art kommunizieren, mit ihnen herumtollen, Heu knabbern oder ganz einfach im Sozialverband herumstehen und die Sonne, den Wind und den Regen spüren. Bei unseren klimatischen Bedingungen, unseren Bodenstrukturen und Platzverhältnissen können die Weiden nur in den Sommermonaten und bei trockener Witterung genutzt werden, ohne dass innert Kürze ein tiefer Morast entsteht. Im Winter gefriert dann der Boden einer solchen Weide zu einer höckerigen Hügellandschaft, welche für Esel kaum begehbar ist. Es ist deshalb unabdingbar, dass ein Allwetterplatz einen besonderen Bodenaufbau aufweist.
Esel sind Gesellschaftstiere und sollten deshalb immer mindestens zu zweit gehalten werden.
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Besonderheiten bei der Fütterung
Pflanzenfresser verfügen über ein Verdauungssystem, welches in der Lage ist, aus Raufutter für den Körper verwertbare Betriebs- und Aufbaustoffe herzustellen und diese aufzunehmen. Damit dieses System funktioniert, muss kontinuierlich Nachschub in geeigneter Form aufgenommen werden. Esel nehmen deshalb über den ganzen Tag verteilt immer wieder kleinere Portionen Raufutter zu sich. Als Weidetiere haben Esel einen sehr kleinen Magen. Um eine Magenüberdehnung zu verhindern, muss daher das Futter in kleinen Mengen, mindestens dreimal täglich, verabreicht werden. Esel sind extrem gute Futterverwerter. Es ist deshalb besonders darauf zu achten, dass sie nicht überfüttert werden.
Die Futterration besteht in erster Linie aus Heu und Stroh, zur Abwechslung oder zur Belohnung können auch wenig Äpfel oder Karotten gereicht werden. Kraftfutter wie Hafer oder Getreide sowie Mischfutter und Graswürfel sind für Esel, welche nicht für regelmässige Arbeit eingesetzt werden, nicht notwendig und sogar schädlich. Die Tiere werden rasch zu dick und können an der sehr schmerzhaften und oft unheilbaren Hufrehe erkranken. Auch mit der Verfütterung von hartem Brot ist äusserst zurückhaltend umzugehen. Brot ist dem Kraftfutter gleichzusetzen und darf keinesfalls in grösseren Mengen gegeben werden. Esel geniessen es, wenn sie auf die Weide gelassen werden und Gras fressen dürfen. Doch auch hier ist Vorsicht geboten! Junges Frühlingsgras oder Gras in grösseren Mengen kann die gleichen Folgen haben wie Kraftfutter. Deshalb muss der tägliche Weidegang je nach Futterangebot zeitlich limitiert werden.
Zudem muss Eseln über das ganze Jahr hindurch trockenes und grob strukturiertes Raufutter gereicht werden. (Heu von relativ spät geschnittenen Magerwiesen und Stroh.) Belüftetes Heu, Emd und Schnittgras vom Rasenmähen sind für Esel nicht geeignet. Um während den Wintermonaten eine ausreichende Versorgung mit Mineralstoffen zu gewährleisten, sollte ein eiweissarmes Kräutermischfutter zusätzlich zu Heu und Stroh verabreicht werden. Esel sollten möglichst immer Zugang zu sauberem, frischem Wasser haben. Kann ihnen nicht dauernd Wasser zur Verfügung gestellt werden, müssen sie mindestens dreimal täglich getränkt werden. Ein Salz- oder Mineralleckstein sollte den Tieren dauernd zur freien Verfügung stehen.
Licht, Luft- und Wetterschutz
Von Natur aus würden Esel die warmen, stickigen Ställe, in die sie oft gesperrt werden, instinktiv umgehen, denn ihr natürlicher Lebensraum liegt unter freiem Himmel. Für ihr Wohlbefinden brauchen sie Sonne, Licht und jahreszeitlich wechselnde Aussenklimareize, um den Stoffwechsel und das Abwehrsystem gesund zu erhalten. Nichtsdestotrotz stellen sich Esel in unserem nasskalten Klima bei Regen gerne unter oder fliehen vor Sommerhitze und Fliegen in den kühleren Stall. Deshalb müssen die Tiere permanent Zugang zum Stall haben. Wenn dies nicht möglich ist, muss ihnen auf der Weide ein natürlicher oder künstlicher Unterstand mit befestigtem Boden angeboten werden. Im Sommer ist es von Vorteil, die Esel nachts auf die Weide zu lassen. Tagsüber sollten sie sich an einem schattigen Platz aufhalten können.
Gesellschaft und Unterhaltung
Der Esel ist ein Gesellschaftstier. Ein einzeln gehaltener Esel fühlt sich nie völlig sicher, selbst wenn er recht zufrieden scheint. Voraussetzung für das Leben in einer Gruppe ist die Fähigkeit, sich untereinander zu verständigen. Die Sprache der Esel umfasst viele verschiedene Signale, wie Lautäusserungen, Gerüche und körperliche Ausdrucksweisen, welche fortwährend zwischen den Mitgliedern einer Herde ausgetauscht werden. Es gehört zum Lebensinhalt eines Esels, mit Artgenossen auf all diesen verschiedenen Ebenen zu kommunizieren. Ein Esel definiert sich in erster Linie als Mitglied seiner Herde. Einzelhaltung ist etwas vom Schlimmsten, was man ihm antun kann. Artfremde Weidegenossen als Gesellschafter können die Einsamkeit mildern – mitunter schliessen Esel sich sehr eng an «ihre Ziege» oder «ihr Schaf» an –, aber ein vollkommener Ersatz sind sie nicht. Ein Esel möchte neben seinen «Kumpels» fressen, ruhen, gelegentlich auch mal mit ihnen raufen, soziale Fellpflege betreiben oder Zärtlichkeiten austauschen. Das kann man dem Esel als Mensch nicht bieten, auch wenn man ihn noch so sehr liebt!
Esel verfügen über eine unstillbare Neugierde und sind an ihrer Umwelt interessiert, wollen möglichst viel sehen, riechen und hören. Hält man sie in einer reizarmen Anlage, schlimmstenfalls in der geschlossenen Box oder angebunden in einem Stall, so führt ihre Langeweile schnell zu Verhaltensstörungen. Eselhalter sollten alles daran setzen, den Alltag der Esel interessant zu gestalten, indem man zum Beispiel den Auslauf mit Blick auf einen Hof oder die Strasse anlegt. Nehmen Sie die Langohren zu einem Spaziergang mit. Oder besuchen Sie einen Bodenarbeitskurs. Äste als «Knabberzeug» zwischendurch sind gesund und vertreiben die Langeweile.